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BreakpointWer in der Demokratie schläft

Dass rechtsradikale Inhalte und Personen in sozialen Medien enormen Anklang erfahren, ist zutiefst beunruhigend. Da ist es nachvollziehbar, dass technische Maßnahmen quasi per Knopfdruck unsere Demokratie retten sollen. Doch es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diesen Inhalten etwas entgegenzusetzen.

Ein leuchtendes Ringlicht mit dem TikTok-Logo in der Mitte vor schwarzem Hintergrund
Der Erfolg der AfD auf TikTok hat viele Gründe – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Solen Feyissa

AfD, US-Wahl, Russland und Nahost: Die Rolle von sozialen Medien im politischen Diskurs wird zurzeit heiß debattiert. TikTok, die Plattform des chinesischen Tech-Konzerns ByteDance, steht dabei im Fokus. Ihr wird vorgeworfen, zu wenig für den Jugendschutz und gegen die Verbreitung illegaler Inhalte zu unternehmen.

Damit könnte TikTok gegen den Digital Services Act (DSA) verstoßen, der seit dem 17. Februar EU-weit für alle Online-Plattformen sowie für Internetanbieter und Hosting-Unternehmen gilt. Unter anderem deswegen hat die EU nun ein formelles Verfahren eingeleitet, in dem die Vorwürfe geprüft werden sollen.

Fast 21 Millionen Menschen nutzen TikTok laut eigenen Angaben allein in Deutschland. Weltweit sind es rund 1,5 Milliarden. Der Filter- und Sortieralgorithmus von TikTok begünstigt Inhalte, die polarisieren. Darunter auch Content, der Desinformation und populistische Thesen sowie strafrechtlich relevante Inhalte wie Volksverhetzung und Verleumdung beinhaltet.

TikTok profitiert von dieser Content-Ausspielung, da die Plattform so mehr Menschen zu Interaktionen bewegen kann. Sie verbringen dann mehr Zeit auf der Plattform und konsumieren mehr Werbung.

Die Emotionen der Nutzer:innen ansprechen

Besonders die AfD weiß dies für sich zu nutzen, wie neue Untersuchungen zeigen. Der Politologe Johannes Hillje hat das Angebot der AfD mit jenen der im Bundestag vertretenen Parteien verglichen. Demnach erreichen AfD-Accounts auf TikTok mehr Interaktionen als die Accounts der anderen fünf Parteien zusammen. Auch auf den Plattformen YouTube, Instagram und Facebook sei der Vorsprung der rechtsradikalen Partei gegenüber den anderen Parteien enorm. „Die AfD hat die effektivste Social-Media-Kommunikation unter den Parteien“, so Hilljes Fazit. Denn die Partei sei besonders erfolgreich darin, die Emotionen der Nutzer:innen anzusprechen und so Reichweite zu generieren.

Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, behauptet etwa in einem Video, dass rechte Gesinnung etwas mit Männlichkeit zu tun habe. In einem anderen Video sagt Krah: „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher. Wir haben allen Grund, stolz auf unser Land zu sein und auf die Menschen, die es aufgebaut haben“. Beide Videos wurden hunderttausendfach angeschaut.

Ein TikTok-Account, der rechte Inhalte verbreitet, veröffentlichte den Ausschnitt einer Bundestagsrede von Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD. Sie zitiert darin den ehemaligen tschechischen Präsidenten Miloš Zeman: „Falls Sie in einem Land leben, in dem sie für das Fischen ohne Anglerschein bestraft werden, jedoch nicht für den illegalen Grenzübertritt ohne gültigen Reisepass, dann haben Sie das volle Recht zu sagen: Dieses Land wird von Idioten regiert.“ Mehr als 10 Millionen Menschen haben das Video gesehen, knapp 770.000 Likes und mehr als 11.000 Kommentare hat es erzielt. Viele Nutzer:innen stimmen dem Zitat zu.

Jugendliche als Zielgruppe

Solche Ausschnitte aus AfD-Reden – meist versehen mit Effekten, peppigen Sounds und Stickern – finden sich massenweise auf TikTok. Für Postings dieser Art würden die AfD-Abgeordneten ihre Reden in den Parlamenten gezielt strukturieren, meint Hillje. Sie bündeln prägnante Zitate in Abschnitten von 60 bis 90 Sekunden, die dann als Kurzclips hochgeladen werden können.

Die AfD spricht damit vor allem Jugendliche an. „Die TikTok-Reichweite der AfD ist ihr Schlüssel zur jungen Wählerschaft“, so Hillje. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die in Teilen als „gesichert rechtsextrem“ geltende Partei unter Erstwählenden zwar „nur“ sechs Prozent der Stimmen. Bei den letzten Landtagswahlen in Hessen und Bayern lag sie in der gleichen Zielgruppe aber bereits bei 15 beziehungsweise 16 Prozent.

Keine Bühne dem Rechtsradikalismus

Macht das TikTok zu einer Gefahr für die Demokratie? Gefährlich wird es für unsere Demokratie immer dann, wenn Rechtsradikale eine Bühne finden, auf der sie ihre demokratiefeindliche Hetze und Desinformation unwidersprochen verbreiten können.

Dass das nicht nur in sozialen Medien der Fall ist, zeigte Markus Lanz Anfang Februar in seiner Sendung eindrucksvoll. Lanz hatte den AfD-Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla eingeladen. Während des 75-minütigen Gesprächs schaffte Lanz es nicht, den Populisten zu enttarnen, sondern pflichtete ihm sogar noch bei. Auch bei Sandra Maischberger und im Deutschlandfunk war Chrupalla in den vergangenen Wochen zu Gast.

Eine wehrhafte Demokratie kann rechtsradikale Meinungen verkraften – wenn sie sich dagegen wehrt. Diese Meinungen müssen nicht „ausgehalten“, sondern ihnen muss widersprochen werden. Ihre Vertreter:innen dürfen nicht in Talkshows eingeladen werden. Sondern deren Lügen müssen enttarnt werden. Geradezu brandgefährlich aber ist es, wenn rechtsradikalen Haltungen zu viel Raum zugestanden wird – sei es in öffentlich-rechtlichen Medien oder auf TikTok. Und eben das muss sich ändern.

Etwas muss sich ändern – aber was genau?

Anfang Februar forderte der CDU-Bundestagsabgeordnete Johannes Steiniger eine strengere Regulierung von TikTok. Konkret brauche es laut Steiniger ein „konsequenteres Meldewesen“ und Faktenchecks unter einzelnen Videos. Darüber hinaus müsse der Sortieralgorithmus so umgebaut werden, dass er das gesamte politische Spektrum abbildet. Außerdem hält Steiniger eine Klarnamenpflicht für notwendig. Und wenn die Regulierung nichts bewirke, dann „muss auch das Instrument des TikTok-Verbots auf den Tisch“, so der Abgeordnete.

Ein „leicht zugängliches und benutzerfreundliches“ Meldewesen müssen Plattformen wie TikTok seit dem vollständigen Inkrafttreten des DSA anbieten. Das bedeutet unter anderem, dass Nutzer:innen, die einen Beitrag gemeldet haben, fortan über das Ergebnis der anschließenden Prüfung benachrichtigt werden. Und auch die Person, deren Beitrag gelöscht oder deren Account gesperrt wird, muss von nun an darüber umfassend informiert werden. Die bislang undurchsichtigen Moderationsvorgänge sozialer Medien sollen so transparenter werden. Gemeldete Inhalte, die nach Einschätzung des Betreibers mutmaßlich einen Straftatbestand erfüllen, müssen die Plattformen hierzlande an das Bundeskriminalamt weiterleiten.

Nicht jedes Mittel gegen Rechts ist recht

Faktenchecks sind ein sinnvolles Mittel gegen Desinformation. Nicht strafrechtlich relevante Falschinformationen zu löschen, ist äußert heikel – und bedeutet im schlimmsten Fall Zensur. Wenn mutmaßlich illegale Inhalte jedoch konsequent gemeldet und geprüft werden, betrifft das mitunter auch Falschinformationen: Nämlich dann, wenn sie die Persönlichkeitsrechte Anderer verletzen. Etwa indem sie Verleumdung, üble Nachrede oder Beleidigungen beinhalten. Auch Inhalte, die volksverhetzend sind, die Shoah leugnen oder das NS-Regime verherrlichen, sind in Deutschland strafbar.

Eine konsequente Strafverfolgung illegaler Inhalte ist ein wichtiges Mittel im Kampf gegen Rechtsradikalismus – auch in den sozialen Medien. Dazu wird immer wieder auch eine mögliche Klarnamenpflicht ins Spiel gebracht. Die Annahme: Wenn Nutzer:innen eindeutig identifizierbar sind, hält sie das davon ab, Straftaten zu verüben – und wenn sie es doch tun, könnten sie schnell zur Rechenschaft gezogen werden.

Die erste Annahme ist zumindest strittig. Denn NS-relativierende Aussagen wie Max Krahs „Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher“ werden zum einen zuhauf unter Klarnamen im Internet gepostet. Zum anderen gefährdet der Zwang zum Klarnamen die Meinungsfreiheit von unterdrückten Minderheiten, die aus Sorge vor politischer Verfolgung dann lieber schweigen. Gleiches gilt für all jene, die sich gegen Rechtsradikale engagieren und dann Attacken aus diesem Milieu fürchten müssen. Und auch Opfer von Gewalttaten, die ihre Erfahrungen online teilen, müssten unter Umständen um ihre Sicherheit fürchten, wenn sie dabei nicht mehr anonym wären. Eine Klarnamenpflicht gefährdet daher eher den öffentlichen demokratischen Diskurs als ihn zu stärken.

Technik macht keine Demokratie

Dass auf TikTok vor allem populistische und rechtsradikale Inhalte erfolgreich sind, liegt aber nicht nur am Algorithmus, meint Hillje: „Es mangelt den anderen Parteien an einer effektiven Social-Media-Kommunikation.“ Mit einer besseren Ansprache könnten auch demokratische Parteien auf TikTok Reichweite erzielen – indem sie ihre Beiträge an Plattform und Publikum anpassen.

Das bedeutet, auch in sachlichen Videos direkt an die Werte der Nutzer:innen zu appellieren – ohne Scheu zu haben, dabei auch Emotionen einzusetzen. Das müssen nicht Angst oder Wut sein: „Mit denen arbeitet die AfD. Aber es gibt auch demokratische Emotionen“, meint Hillje. Er findet: „Die Emotionsaversion von demokratischen Parteien ist fatal. Emotionalisierung wird gerade im linksliberalen Milieu mit Entsachlichung gleichgesetzt. Aber Menschen denken Politik per se emotional.“

Es liegt also in der Hand aller Demokrat:innen – und besonders in denen der Vertreter:innen demokratischer Parteien – soziale Medien so zu nutzen, dass der Populismus seine bestehende Übermacht verliert. Das heißt: jugendgerechten Content schaffen, soziale Medien nicht als unwichtig für den politischen Diskurs zu verkennen und die eigene Kommunikationsstrategie auf Vordermann bringen.

Den Rechtsradikalen die Selbstsicherheit nehmen

Dass rechtsradikale Inhalte und Personen in sozialen Medien zuweilen enormen Anklang erfahren, ist zutiefst beunruhigend. Die Schuld dafür liegt aber nicht allein beim Internet. Sie liegt bei denjenigen, die sich als demokratisch bezeichnen, aber bei jeder Gelegenheit mit rechtsradikalen Parolen auf Wähler:innenfang gehen. Sie liegt bei einem Schulsystem, das seinem politischen Bildungsauftrag immer weniger gerecht wird. Sie liegt bei Abgeordneten, die Rechtsradikale zu Landesverfassungsrichtern wählen. Und sie liegt bei allen, die das System, in dem wir leben, für selbstverständlich erachten.

Auf TikTok und Co. zeigt sich deutlich, wie selbstsicher die politische Rechte in Europa geworden ist. Diese Selbstsicherheit speist sich auch aus politischer Macht: In kaum einem Parlament ist der rechte Rand nicht mehr vertreten. Den Rechtsradikalen diese Macht und Selbstsicherheit wieder zu nehmen und insbesondere Jugendliche vor Radikalisierung zu schützen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Mit technischen Maßnahmen können wir unsere Demokratie nicht retten. Sie können uns bestenfalls dabei helfen. Deshalb ist es die Aufgabe aller, denen etwas an der Demokratie liegt, sie zu verteidigen. Das kann bedeuten, sich an Demonstrationen zu beteiligen, problematische Inhalte in den sozialen Medien zu melden, rechtsradikale Meinungen zu entlarven, statt dazu beizutragen, dass sie sich immer weiter verbreiten. Denn wie heißt es so treffend: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“.

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22 Ergänzungen

  1. Technik wird leider immer für und wider dem Wohle des Menschen Anwendung finden. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass das Gleichgewicht nicht gänzlich völlig aus den Fügen gerät…wonach es leider immer mehr aussieht :-/

  2. Das die öffentlich-rechtlichen, wie das ZDF mit Lanz, den Rechtsextremismus eine Plattform bietet und NICHTS DAGEGEN HAELT, ist im Angesicht des Holocaust unverantwortlich!!
    Lanz halte ich eh für rechts, dem es nur um Einschaltquoten geht. Der mit Verachtung auf die Arbeiterklasse schaut.
    Meine Erfahrungen in Brandenburg ist auch, dass viele aus der Mittelschicht kein Problem mit Nazis haben und lieber nach unten treten, anstatt sich gegen die Politik zu stellen. Der Kleinbuerger war schon immer feiger Untertan. Das hat sich bis heute nicht geändert!
    Vielen Dank für den Artikel!

    1. > Lanz halte ich eh für rechts, … Der mit Verachtung auf die Arbeiterklasse schaut.

      Eine schon bösartige Fehleinschätzung. Nicht wenige halten Herrn Lanz für links, was auch nur Interessen-geleitete Anwürfe sind. Der Vorwurf der „Verachtung“ ist schon im Bereich der Lügen, wenn nicht gar Hetze gegen die Person. Herr Lanz stammt selbst aus ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen und steht auch dazu.

      Diese „Ergänzung“ von Karina Moshes lese ich als einen Versuch gegen die „öffentlich-rechtlichen, wie das ZDF“ zu agitieren und auch noch das Reizwort „Holocaust“ unterzubringen.

    2. Wirklich? Das sehe ich nicht. Keine Begründung, da von Ihnen auch keine kommt. Ich halte nicht alles für gut gemacht, z.B. die Zahlenspiele zu „Asylanten schicken Geld nach Hause“, auch wenn das nicht so plump war, wie ein Ausschnitt von 5 Sekunden es hätte erscheinen lassen können. Lanz fragt allerdings auch provokant und z.T. um indirekt an was heranzukommen, und hat so schon einiges interessantes errreicht. Eine einzelne Sendung reicht mir für eine Abqualifizierung nicht, dafür ist das zu differenziert, was er macht. Manches muss eben probiert werden, und hier hat es nicht so geklappt wie man gerne gehabt hätte, zudem muss man einem Journalisten nicht unterstellen, eine Live-Bloßstellung für das geifernd jubelnde Publikum produzieren zu wollen – sollen wir jetzt nach Zensur winseln?

    3. „den Rechtsextremismus eine Plattform bietet und NICHTS DAGEGEN HAELT“
      Das ist ungewöhnlich, vielleicht muss ich das noch mal gucken. Typisch Lanz wäre die Leute mit harmlosem Geplänkel aufs Glatteis zu bringen. Vielleicht war der Mann eben sehr gut vorbereitet, war das eine Solosendung!?

  3. „Sie liegt bei denjenigen, die sich als demokratisch bezeichnen, aber bei jeder Gelegenheit mit rechtsradikalen Parolen auf Wähler:innenfang gehen.“

    Dazu zähle ich auch die Nebelkerze ‚Rückführungsverbesserungsgesetz‘. Das ist Symbolpolitik, die sich an rechte Wähler:innen wendet und damit nahtlos an sonstige rechtpopulistische Politik anschließt: Ausländerzentalregister, Bezahlkarten für Geflüchtete, Frontex, …

  4. > TikTok, die Plattform des chinesischen Tech-Konzerns ByteDance,

    … bemüht sich stets als eine von der chinesischen Kommunistischen Partei unabhängige Firma darzustellen. Formal hat sie damit Erfolg, Regulierungen in den USA und Europa nachzukommen, teilweise sogar besser als andere Plattformen.

    Und trotz Regulierung haben sog. social media noch immer Potential zur Desinformation und Zersetzung von Gesellschaften, das Akteure wie die KPCh selbstverständlich für ihre Zwecke nutzen.

  5. Zitat aus dem Artikel: „Sondern deren Lügen müssen enttarnt werden.“

    Dies wurde schon jahrelang mit sogenannten Faktenchecks erfolgreich getan. Erfolgreich aber nur insofern, als dass die Lügen enttarnt wurden. Nicht erfolgreich aber war die Wirkung der Enttarnung auf die Verbreiter der Lügen. Woran liegt das?

    Lügnern kommt es eben nicht auf die Wahrheit an, sondern auf emotionale Wirkung während des Sprechakts. Einen Lügner kümmert es auch nicht, was er zwei Sätze zuvor gesagt hat, und ob das konsistent ist mit einer neuen nachgeschobenen Lüge. Da lieferte Chrupalla bei Lanz anschauliches Lehrmaterial, insofern durchaus sehenswert und auf YT zur Analysezwecken zu finden.

    Zum anderen, wer liest solche „Enttarnungen“? Das ist ein sehr, sehr kleiner Kreis von Menschen, die sich diese Mühe machen. Der Großteil konsumiert das als Teil eines dargebotenen Entertainments in den Medien, ohne weitere größere kritische oder intellektuelle Auseinandersetzung.

    Ich rate dazu, Lügnern die Möglichkeiten nicht zu geben, ihre Lügen zu verbreiten, also ihnen ein Forum zu bieten.

    Dass Markus Lanz nicht wie in gewohnter Weise selbst gegen einen eher gemäßigten Rechtsradikalen punkten konnte, muss einem zu denken geben. Leider gab es keine Aufarbeitung dieser Sendung in seinem Podcast Lanz+Precht. Aber vielleicht sollte man das noch anmahnen.

    1. „Dass Markus Lanz nicht wie in gewohnter Weise selbst gegen einen eher gemäßigten Rechtsradikalen punkten konnte, muss einem zu denken geben. Leider gab es keine Aufarbeitung dieser Sendung in seinem Podcast Lanz+Precht. Aber vielleicht sollte man das noch anmahnen.“

      Das ist nicht die Aufgabe des Podcastes. Eine Analyse mit Verbesserungsvorschlägen und Factchecking (nicht ideologisch, nicht Minimalkonsens mittels assoziativem Könntepassen, zwölf mal nacheinander) wäre toll. Das ergibt dann auch erst Sinn. Die Artikel, die sich über Lanz beschwert haben (damals) geben nicht so unendlich viel Checking her. Keine Ahnung, ob es eine bessere Analyse gibt, vielleicht eine Arbeit an einer Uni? Zeitgeschichte oder so…

      1. Also elaboriert, vielleicht auch Presseausbildung, was auch immer. Denn interessant wäre schon, was man hätte besser machen/versuchen sollen/können, aus journalistischer Sicht, nicht mit einem AFD-spezifischen Ziel, sondern erst mal aus allgemeiner Sicht. Wobei es ja auch ein Talkformat ist, und kein strikt neutrales Interview, also ist hier ein bischen Heckenschützengefrage auch drinnen.

        Die Entscheidung zum Soloformat ist z.B. interessant, weil weniger Emergentes zu erwarten ist, dafür auch weniger Abschweifen. Umso besser muss der Interviewer vorbereitet sein, Interviewte allerdings auch. Was Plattformbieten betrifft, sollten sich die Öffentlich-rechtlichen an mehrere Nasen fassen, denn das Wiederholen von hahnebüchenen Politikerstatements bis zur Desinformation, ist vielfacher Usus, täglich, stündlich,.. über alle Parteien hinweg, auch in die Wirtschaft und sonstwo hinein. D.h. hier echauffieren sich „die Privaten“ mit dem Hintergedanken, ihrer geschätzten öffentlich-rechtlichen Konkurrenz noch eins mit auszuwischen. Die wiederum müsste dann allerdings alles verbessern, nicht nur ein Interview, was ad-hoc mal so schwierig fallen dürfte. Eine Vertiefung bzgl. Plattformgeboten der Privaten verkneife ich mir an dieser Stelle mal.

  6. Demokratie heißt das jede Meinung in Entscheidungen einfliesst. Das es auch unterschiedliche Positionen gibt und das die Institutionen durch die unterschiedlichen Positionen der Regierung und der Opposition in einer Art Gleichgewicht sind oder das Kompromisse gefunden werden. Mit diesem Systems des Ausgleichs sind wir in den letzten Jahrzehnten gut gefahren. Ich frage mich wirklich was sich daran geändert hat?
    Warum glauben Regierungsparteien nicht mehr an die ausgleichende Kraft der Demokratie?

    Mein Eindruck ist das es immer mehr darum geht, das es in vielen diskutierten Punkten nur noch eine Meinung geben darf und jede Abweichung davon als Rechts markiert wird. Das wirkt auf mich undemokratisch und wird auch in meinem Umfeld so aufgenommen. Viele Menschen fühlen sich mitlerweile eher von der Regierung bedroht, als von der Opposition. Was sich auch durch die zahlreichen Netzpolitischen eingriffe der letzten Zeit zeigt. Wo es immer häufiger um Kontrolle, Überwachung und Verbote geht. Nicht um Zugang, Diversität oder Freiheit der Meinungen.

    1. > Demokratie heißt das jede Meinung in Entscheidungen einfliesst.

      Das heißt es eben nicht. Es geht nicht um „Meinung“ sondern um Legitimation mittels Wahlen.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratie#Typologien_demokratischer_Herrschaftsorganisation
      https://de.wikipedia.org/wiki/Direkte_Demokratie_in_Deutschland

      Bei Sachentscheidungen und Gesetzgebung gibt es Anhörungsverfahren, wo Meinungen gehört werden. „Jede Meinung“ kommt auch da nicht zum Tragen, da dort Meinungen ausscheiden, die untragbar sind.

    2. > Warum glauben Regierungsparteien nicht mehr an die ausgleichende Kraft der Demokratie?

      Eine rhetorische Frage, der es nicht an Bösartigkeit mangelt, denn sie setzt voraus, dass dem so sei.

      „Glauben“ ist nichts was Parteien können, diese Ausprägung von meist unvermögender Fähigkeit ist auf Individuen begrenzt. Viel interessanter ist hier, wie der Fragesteller zu seinem Glauben gelangte, dass andere sozusagen von deren Glauben abgefallen seien.

    3. Zitat mutant77: „Mein Eindruck ist das es immer mehr darum geht, das es in vielen diskutierten Punkten nur noch eine Meinung geben darf und jede Abweichung davon als Rechts markiert wird. Das wirkt auf mich undemokratisch und wird auch in meinem Umfeld so aufgenommen.“

      Hier geriert sich jemand als Opfer, als Opfer seiner Identität, dass vorgeblich darunter leidet, wie es außerhalb seiner peer-group wahrgenommen wird (Eigenbild-/Fremdbild-Abgleich).

      Wer rechte Gesinnung äußert, sollte sich nicht darüber beklagen, er sei von anderen falsch verortet worden, und wer anderen „undemokratisches“ Verhalten vorwirft, sollte selbst als lupenreiner Demokrat andere Auffassungen respektieren können.

      Der Lackmus-Test ist freilich der Vorwurf, dass es „nur noch eine Meinung geben darf“. Dies Demokraten vorzuwerfen, zumal einer Dreier-Koalition, die sich sogar untereinander vorwirft, wie die „Kesselflicker“ zu streiten, das ist fortgeschrittene Realitätsverweigerung, die fast schon amüsant erscheint.

    4. >> Viele Menschen fühlen sich mittlerweile eher von der Regierung bedroht, als von der Opposition.

      Eine billige Behauptung, ohne empirische Grundlage. Natürlich könnte man ohne Mühe genau das Gegenteil behaupten. Welches Interesse aber steckt hinter dieser Behauptung?

      Leser, die das nicht kritisch hinterfragen, könnten glauben es gäbe eine Bedrohung, die sie noch nicht bemerkt haben. Sie könnten die Behauptung glauben, auch wenn sie frei erfunden ist, oder keine relevante Größe darstellt. Was hier so unschuldig anmutend versucht wird geht über stets berechtigte Regierungskritik weit hinaus. Bedrohung hat eine andere Qualität und ist eine andere Kategorie als Unzufriedenheit, denn Bedrohung zieht schon den Kampf mit in Betracht.

      Wer hat ein Interesse daran, Gedanken zu streuen, die dazu geeignet sind, Menschen gegen ihre/unsere Regierung aufzubringen? Sind das die Sätze, die von der Bedrohung durch eine extremistische Oppositionspartei ablenken soll? Die Realität umgedreht, Opfer zu Tätern gemacht, unterlegt mit der Begleitmusik „Netzpolitischen eingriffe“ [Anm. Rechtschreibung wie im Original], damit die Zustimmung leichter fällt?

  7. (Die Bezahlkarte könnte etwas Sinnvolles sein, wird aber zum Schlachtfeld für entsprechende Tendenzen und Phantasien, sowie Strohmannkämpfe. Hier würde nur ein Bundesgesetz helfen, was mit Weitsicht und Können erstellt werden müsste. Hatten wir lange nicht mehr, bis auf vielleicht einlaufbasierte Weitsicht von Big-Tech, Axel Springer, u.ä.)

  8. Warum dürfen Mitglieder einer nicht verbotenen Partei, die auch im Bundestag vertreten ist, nicht zu Talkshows eingeladen werden? Welches „Demokratieverständnis“ hat die Autorin? Wie wollt ihr euch dann mit Argumenten mit dem politischen Gegner auseinandersetzen?

    1. > Welches „Demokratieverständnis“ hat die Autorin?

      Falsche Frage. Nach dem „Demokratieverständnis“ jener Partei ist zu fragen, die im Parlament ganz rechts außen sitzt. Diese steht nicht mehr auf dem Boden unserer Verfassung.

    2. > Wie wollt ihr euch dann mit Argumenten mit dem politischen Gegner auseinandersetzen?

      Der „politische Gegner“ am rechten Rand hat sich zu einem Staatsfeind entwickelt, der Argumenten nicht mehr zugänglich ist. Jetzt ist juristische Auseinandersetzung angesagt.

      Zu hoffen bleibt, dass Sympathisanten wie Denkzettel-Wähler den Schaden, den sie angerichtet haben erkennen, und noch Argumenten zugänglich sind. Im Osten sind nicht wenige der ehemaligen Sowjetunion mehr verbunden, als der Verfassung und der Freiheit des eigenen Landes.

  9. TikTok, Faktenchecks oder Technik sind doch nicht die Ursache für die zunehmende Stärke der extremen Rechten in vielen Ländern und bei uns.

    Die Entwicklung ist weltweit zu sehen und das Internet bzw. Soziale Medien mögen da Beschleuniger sein, aber sie wäre auch ohne diese sehen (und wie in der Vergangenheit ohne Internet zu sehen war). Der Grund ist doch einfach: sie beruht auf realen gesellschaftlichen Veränderungen, die sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen haben.

    (wer hier weiterdenken will, der sollte spätestens jetzt das Buch von Didier Eribon „Rückkehr nach Reims“ lesen – und es gibt noch viele mehr, die diese neue Realität beschreiben)

    Von daher nutzt auch das rumdocktern an diesen Symptomen nichts, wie hier beschrieben: was all diese Vorschläge von „verbieten, zensieren, regelmentieren“ usw. darstellen.

    Ja, diesem müsste deutlich inhaltlich widersprochen werden. Was aber nicht geschieht (mit Rechten redet man ja nicht – und unterlässt deshalb wohl auch das Kommentieren). Zudem sich das als weitaus schwieriger darstellt, als sich die Betrachter aus der anderen gesellschaftlichen Blase vorstellen.

    Wenn ich einen Beitrag auf TikTok sehe, wo sich eine Alice Weidel mit ihrer Partnerin präsentiert und darunter hunderte blaue Herzchen und Kommentare stehen wie „Unsere Bundeskanzlerin“ oder „Was für ein schönes Paar“ , dann kann ich auch erahnen, wie schwierig das für die Betrachter aus der anderen Blase ist, dem zu begegnen, die immer noch im Bild des „traditionellen Rechtsextremismus“ gefangen sind.

    Die einzig funktionierende Entgegnung auf die Rechte ist und bleibt am Ende eine eine Politik, die das Leben der meisten Menschen besser macht – und nicht ein anderes TikTok oder Faktenchecker. Dann bleibt diese extreme Rechte so marginalisiert, wie sie es in den westlichen Ländern über Jahrzehnte war.

  10. Wir sollten nicht auf die Starkemannfalle in der Form der Überzeugendwirkenfalle reinfallen. Dann hat eben Lanz das einmal nicht gut gemacht, weil er einen Ansatz hatte, den der andere mittels Vorbereitung und Geschick nullifiziert hat. Vielleicht war sogar Lanz ungenügend vorbeereitet oder hatte einen schlechten Tag, so what. Das heißt nichts und wieder nichts.

    1. Können es andere ja besser machen. (Zahlen bitte!)
    2. Ist Leute im Interview niederringen zu wollen ein zweifelhafter Ansatz. Sie können Lügen bzw. Folgen von Forderungen darstellen und versuchen, die Leute in nicht möglichen Erklärungen zu fangen, o.ä., das müssen aber nicht mal Lügen sein (im einzelnen), sondern einfach, was die so fordern. Dafür bedarf es aber eigentlich eher eines wissenschaftlichen Dienstes o.ä. Talkshows zeigen manchmal die menschliche Seite, oder wenigestens irgendeine, jedenfalls können sie mit Glück tiefer rütteln, als es in Pressekonferenzen geht.

    Ich glaube auch, dass Rechts de fakto viel Desinformation benutzt und viele Sachen nicht hinkommen können, gerade bei den Gewichtungen und den übergeordneten Versprechen gegenüber den Forderungen und Programmen auf konkreterer Ebene.
    (Rechts von so weit Links wie alle jemals an Regierungen beteiligten Parteien Rechts sind.)

  11. Was uns blühen könnte, wenn rechtsradikale über die Innere Sicherheit bestimmen, zeigt ein Blick nach Italien:

    In Italien häufen sich Fälle von Polizeigewalt und Einschüchterung gegenüber Anders­­denkenden, die Opposition spricht von einem „Klima der Repression“. Sozialen Problemen begegnet die Rechts­regierung von Giorgia Meloni auch mit zahlreichen neuen Straftat­beständen.

    https://www.rnd.de/politik/italien-faelle-von-polizeigewalt-haeufen-sich-kritik-an-melonis-rechtsregierung-IXN5H6KEGZEMNB5VNTTP75MY2M.html

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